Ein jähes Ende…

Ich bin zuhause – drei Monate früher als geplant und auch nur mit „Ach und Krach“ und einem der letzten regulären Flieger überhaupt. Mein Abenteuer in Südamerika hat ein turbulentes und viel zu frühes Ende gefunden. In Anbetracht der weltweiten Situation war dies aber die einzig richtige Entscheidung. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich einen telefonischen Tritt in den Hintern brauchte, um das zu akzeptieren 🙂

„Komm nach Hause“

Genau das war die Ansage meiner Mama, als ich ihr samstags (14.03.2020 um ca. 10 Uhr morgens bolivianischer Zeit) erklären wollte, dass ich mit einer Freundin in Costa Rica gesprochen hatte und einfach dorthin fliegen könnte. Dort wäre ich nicht auf Hostels angewiesen, sie kenne sich aus, die Lage sei ruhig. Alles wunderbar.

Tatsächlich waren zwei Tage zuvor in Bolivien die Schulen geschlossen worden. Zu dem Zeitpunkt gab es zwei bestätigte Fälle einer Corona-Infektion. Ansonsten war die Lage relativ entspannt. Ich war eher enttäuscht darüber, dass Torben mich wohl in der kommenden Woche nicht wie geplant besuchen würde. Ärgerlich.

Und dann kippte die Stimmung. Zunächst kam wie gesagt die klare Ansage: „Komm nach Hause!“ (Und seien wir ehrlich: Jeder, der mich kennt weiß, dass ich dabei vermutlich auf niemanden gehört hätte, außer eben auf Mama 🙂 ) Ungefähr zeitgleich sind die Gespräche im hosteleigenen Café in La Paz immer aufgeregter geworden. Grenzschließungen wurden diskutiert. In Argentinien sei die Bewegungsfreiheit bereits eingeschränkt. Peru ziehe zeitnah nach.

Praktisch denken

Also gut. Kann ich meinen Flug umbuchen? Wann und wie komme ich nach Quito (von da ging ursprünglich mein Rückflug)? Und kann ich vielleicht doch noch die Stadtführung durch La Paz am Sonntag mitnehmen?

Stadtführung: Nein! Der Flug nach Quito geht morgens um 4 Uhr – mit Zwischenstopp in Lima. Na schön, Schlaf wird ja bekanntlich überbewertet.

Flug umbuchen: Geht. Wunderbar. 150 Euro statt ein neuer Flug für 1000 Euro aufwärts klingt erstmal gut. Allerdings konnte ich meinen Flug nur bis auf Dienstag den 17.03. vorschieben. Macht nichts, denkt mein positiv gestimmtes Ich. a) Die Grenzen in Ecuador sind geöffnet. b) So habe ich zwei Tage Zeit, mir Quito anzuschauen. Und wenn alles ganz schlecht laufen sollte, wohnt eine Kommilitonin von mir dort, die mir bereits Unterschlupf angeboten hat. Läuft.

Durchatmen, ein letztes Mal Touri sein und ein bisschen schlafen

So ganz unbesichtigt wollte ich La Paz dann aber doch nicht wieder verlassen. Immerhin hatte mich Bolivien in den zwei Wochen zuvor vollkommen überrascht – dazu in einem anderen Post mehr.

Ich war fälschlicherweise immer davon ausgegangen, dass La Paz die Hauptstadt Boliviens sei. Laut Verfassung ist es aber das weitaus kleinere Sucre, dass ziemlich zentral im Land liegt. Trotzdem: Die wirtschaftlichen und politischen Geschicke Boliviens werden mittlerweile aus La Paz heraus gelenkt. Das Parlament hat beispielsweise hier und nicht in Sucre seinen Sitz.

Wer wenig Zeit hat und trotzdem viel sehen möchte, kann für wenige Bolivianos (das ist die Währung hier) ein Ticket für das berühmte „Teleferico“ kaufen und damit quasi einmal komplett um die Stadt herum fahren. Hoch in der Luft. Denn das Teleferico ist ein Netz aus Gondeln. Total großartig.

Ich weiß gar nicht wieso, aber ich hab mir La Paz ganz anders vorgestellt. Irgendwie chaotischer, vielleicht sogar ein bisschen unsicher. Tatsächlich hab ich mich aber auf Anhieb total wohl gefühlt. Der berühmte „Hexen Markt“ (Mercado de Hechicería) hat mir nur als letzte Souvenir-Shopping Station für Kleinigkeiten gedient. Gern wäre ich länger geblieben, hätte mir die verschiedenen Pülverchen für jegliche Lebenslage genauer angeschaut (mehr Geld, ein neuer Liebhaber, ein super Hintern – es gibt ein Mittel für alles) und mich vor den Lama-Föten gegruselt. Außerdem wäre ich gern zum Cholitas Wrestling gegangen… Beim nächsten Mal.

Auf einmal muss alles ganz schnell gehen

Schlussendlich war ich mit meiner kleinen Tour durch La Paz aber doch ganz zufrieden, habe abends mehr oder weniger gründlich zusammengepackt und mich dann halbwegs beruhigt schlafen gelegt. Zumindest 2 Stunden sollten noch drin sein.

Als mein Wecker um Mitternacht geklingelt hat, hab ich noch nicht geahnt, was das für ein Tag werden würde.

Schock 1: Eine Mail von Latam Airlines verkündet mir, dass mein Flug nach Quito gestrichen wurde. Klasse. Und nun? Eine kurze Internetrecherche hat keinen Aufschluss gebracht. Also los, ab zum Flughafen und gucken was geht.

Überraschung 1: Mein Flug wurde nicht gestrichen. Es wurde lediglich das Flugzeug in Lima getauscht, weshalb mein Flug eine neue Flugnummer hatte. Ich konnte ganz normal einchecken und alles sollte laufen. Das hätte man in der Mail auch ruhig mal erwähnen können. Egal. Ich habe aber glaube ich einen Rekord im „Anziehen – Kram in die Tasche werfen – Auschecken – Taxi schnappen – zum Schalter rennen“ hingelegt.

Schock 2: In Lima bleibt unser Anschlussflieger nach Quito am Boden. Nach ca. 30 Minuten Warten im Flieger informiert uns der Kapitän, dass man aktuell mit Ecuador darüber diskutiere, ob man noch landen dürfe. Bitte was?! Laut meiner ecuadorianischen Freundin würde die Einreise nach Ecuador erst um Mitternacht verboten werden (Übrigens eine Entwicklung, die Samstagnachmittag kommuniziert wurde. Man ist hier etwas schneller mit Verboten, als wir das in Europa gewohnt sind). Ich war also super pünktlich und voll gut in der Zeit morgens um 8 Uhr!

Wir sind dann aber mit ca. 75 Minuten Verspätung doch geflogen. Soweit so gut.

Schock 3: In Quito wird bei jedem Neuankömmling die Temperatur gemessen. Schlafmangel führt bei mir dazu, dass meine Hände kalt und mein Gesicht warm sind. Hab ich Fieber!? Das wäre jetzt überhaupt nicht zu gebrauchen. Hatte ich auch nicht. Test bestanden. Im nächsten Atemzug überreicht man mir dann aber einen Zettel auf dem auf der Vorderseite steht „Mandatory isolation“. Auf der Rückseite steht „Voluntary isolation“. Ja, was denn jetzt? 14 Tage Isolation passen zu meinem Flug in zwei Tagen nur bedingt gut.

Da in meinem Pass nachweisbar war, dass ich die letzten zwei Monate in Südamerika verbracht hatte, war das Thema Isolation für mich irrelevant. Ich wollte schon meinen Einreisestempel kassieren und entspannt meine zwei Tage Quito in Angriff nehmen als…

Schock 4: „If you wanna leave Ecuador, you need to leave today or tomorrow. We’re closing the borders.“ Na klasse. Mein umgebuchter Flug war damit wertlos. Aber vielleicht könnte ich ihn ja noch hier an einem Schalter umbuchen? Keine Chance. Zu den Airlines gelangt man am Flughafen von Quito ausschließlich über einen Fahrstuhl. Nach 30 Minuten anstehen und keinerlei Bewegung hab ich mein Handy gezückt und – möglicherweise leicht panisch – Torben angerufen.

„Mach was!“

Das war glaube ich mein Wortlaut. Und dann der Nachsatz: Hol mich nach Hause. Hat er gemacht, indem er mir einen Flug für den gleichen Abend von einer anderen Fluglinie gebucht hat. Angeblich war der sogar fast leer. Das hat sich über den Tag dann noch gravierend geändert. Sollte mir aber egal sein. Mein Ticket war da und ich konnte etwas durchatmen.

Und meine Freundin Erika treffen. Denn auch wenn aus mehreren Tagen Quito nun wenige Stunden geworden waren, zumindest ein richtiges ecuadorianisches Essen sollte drin sein. Außerdem hat sie es geschafft, mich wieder weitestgehend zu beruhigen. Freunde sind und bleiben einfach die beste Medizin.

La Paz – Lima – Quito – Madrid – Düsseldorf in 36 Stunden

Ich war erstaunt, mit welcher Ruhe das Flughafenpersonal ihren Job gemacht hat. Überhaupt war die Stimmung im Flughafen von Quito ab Check-In sehr entspannt. Die Leute haben sich nicht einmal über viele Stunden Verspätung beschwert. Auf einmal ist sowas eben nicht mehr wichtig. Wichtig war nur, dass man noch vor Montag um Mitternacht einen Sitzplatz im Flieger hatte.

Erstaunlich auch, wie wenig es mir ausmachte, dass ich letztendlich ca. 36 Stunden unterwegs war, um zuhause anzukommen. Normalerweise bin ich zu nichts zu gebrauchen, wenn ich nicht mindestens 8 (besser aber 9 oder 10) Stunden Schlaf bekomme. Adrenalin, so durfte ich lernen, ist ne wahre Wunderwaffe.

Heile zuhause

Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde: Alles wunderbar. Natürlich bin ich enttäuscht, dass mein Trip ein völlig verfrühtes Ende gefunden hat. Südamerika hat mich begeistert. Die Landschaften, das Essen, die Menschen, die Kultur… hier gab es so viel zu entdecken. Und selbst mit der Sprache hat es immer besser geklappt (Außer in Chile. Aber das war auch ungerecht, denn die Chilenen sprechen gefühlt doppelt so schnell wie der Rest des Kontinents, verschlucken konsequent die letzte Silbe eines Wortes und verwenden non-stop irgendwelche Slang-Worte, die auch spanische Muttersprachler aus anderen Ländern an ihre Grenzen bringen).

Trotzdem bin ich dankbar, dass ich letztlich ohne große Probleme nach Hause gekommen bin und sowohl ich als auch der Rest meiner Familie gesund ist. Die nächsten Monate werden für alle eine Herausforderung und zu versuchen munter weiter zu reisen ohne Rücksicht auf Verluste wäre schlicht verantwortungslos. Ich habe in 2 1/2 Monaten ganz viele tolle Dinge erlebt und war bestimmt nicht das letzte Mal dort.

Aber jetzt heißt es bis auf Weiteres: #Staythefuckhome