Zu Besuch in einer Geisterstadt

Wird es nun als Dünger oder zur Herstellung von Bomben verwendet? Diese Frage habe ich mir beim Besuch der Humberstone- und Santa-Laura-Salpeterwerke des öfteren gestellt. Da ich scheinbar mehr als ein Fragezeichen auf der Stirn hatte, hat unser Guide dann doch einmal ins Englische gewechselt und mir erklärt: Für beides.

Spanisches k.o.

Ich hätte vielleicht einmal nachfragen sollen – warum? – als mich die Verkäuferin meiner Tagestour zu der berühmten Geisterstadt fragte: „Entiendes español bien?“ Meine ehrliche Antwort: „Un poco.“ Wir haben uns noch kurz unterhalten und sie schlussfolgerte: „Todo bien.“ Tatsächlich hatte ich gerade eine spanischsprachige Tour gebucht. Rückblickend betrachtet weiß ich gar nicht, warum ich mit etwas anderem – englisch z.B. – gerechnet hatte. Hier ist grundsätzlich alles auf spanisch, es sei denn es steht ganz dick und fett ausdrücklich etwas anderes dran. Nun gut. Small Talk klappt ja ganz gut. Da ist eine Tour sicher ein Kinderspiel.

Hab ich gedacht. Hab ich falsch gedacht. Es ist eine Sache, zu verstehen, wann man wo zu sein hat und was als nächstes kommt. Es ist etwas völlig anderes, geschichtliche Zusammenhänge oder die Funktionsweisen verschiedener Maschinen zur Gewinnung von Salpeter zu verstehen.

Sicherlich hätte es auch geholfen, wenn ich a) vorher gewusst hätte, was Salpeter überhaupt ist und b) eine ungefähre Ahnung vom Pazifischen Krieg zwischen Chile, Peru/Bolivien gehabt hätte. Hatte ich aber nicht und so hat mein Gehirn bei 34 Grad im Schatten non-Stop auf Hochtouren gearbeitet, um zumindest einen groben Zusammenhang herzustellen, zwischen dem was meine Augen sehen und meine Ohren hören.

Eine Reise in die Vergangenheit

Das Santa-Laura Salpeterwerk ist beeindruckend. Seit 1960 ist es stillgelegt und verlassen (genau wie Humberstone übrigens) und das heiße, sandige Klima sowie leider auch Vandalismus, haben dem ehemaligen Prachtstück zur Gewinnung des berühmten Chilesalpeter (oder auch Natriumnitrat) mächtig zu schaffen gemacht. Seit 2005 gehören Humberstone und Santa-Laura zu den Weltkulturerben der UNESCO. Einige Teile der Fabrik sowie einzelnen Gebäude der Stadt Humberstone wurden restauriert. Außerdem wurden verschiedene Museen auf dem Gelände errichtet, die die Geschichte und das Leben der Leute vor Ort zeigen. Echt cool gemacht.

Die Fabrik in Santa-Laura – verlassen, inmitten der Wüste. Fotografien im Museum nebenan zeigen die stolze Konstruktion zu Glanzzeiten.

Unser Guide wurde in Humberstone geboren und konnte daher jede Menge „first hand experiences“ erzählen. (Ich habe mich nicht getraut zu fragen, wie alt er ist, aber da das Werk 1960 geschlossen und auch die Stadt dann geräumt wurde, muss er schon ganz schön alt sein…)

1872 hat das Werk seine Tore geöffnet und zu seinen Glanzzeiten (bevor z.B. in Deutschland sowas wie die Ammoniak-Synthese entwickelt wurde) lebten auf dem Gelände knapp 4.000 Menschen. Das Leben dort muss ziemlich hart gewesen sein. Sowas wie Arbeitsschutz-Versicherungen etc. gab es damals logischerweise noch nicht und nicht wenige Arbeiter sind bei der Arbeit verunglückt. Als die Arbeiter gegen ungerechte Behandlung demonstrierten, wurde das ganze auch mal just blutig unterbunden (wie viele dabei genau umgekommen sind und wie man sich später geeinigt hat, habe ich leider mal wieder nicht verstanden).

Ein Dorf mit allem Schnick und Schnack

So hart das Leben auch gewesen sein mag. In Humberstone war immer etwas los. Es gab z.B. ein Theater, in dem die eine oder andere Berühmtheit aufgetreten ist. Und noch heute ist man stolz auf die Akustik, weshalb unser Guide direkt lauthals zu singen begonnen hat, um eben diese zu demonstrieren. Aber natürlich spukt es hier heute fast hinter jeder Ecke. Ist ja klar. (Und manchmal wollte ich das auch gern glauben.)

Das örtliche Freibad (inkl. Sprungturm) wurde aus Eisen eines Schiffswracks gebaut. Mit stolzen 24m Länge und 5m Tiefe war es „casi olímpico“. Gebuddelt wurde 45m tief, um Wasser für das Bad an die Oberfläche zu befördern. Wenn man bedenkt, dass es in der Atacama-Wüste so gut wie nie regnet, bekommt dort ein Freibad Anfang des 20. Jahrhunderts nochmal eine ganz andere Bedeutung.

Während ich im Freien bei der trockenen Hitze mit einer von oben herab brennenden Sonne fast eingegangen bin, war ich angenehm von der Kühle in einigen Wohnhäusern überrascht. Die wurden nämlich nach einer ganz speziellen Methode errichtet (,die ich nicht verstanden habe). Für mich also wie durch ein Wunder, waren die Wände und damit das Innere der Häuser immer kalt. Super! Weniger wichtige Leute hatten weniger Glück. Sie haben in Wellblechhütten gewohnt: Tagsüber unerträglich heiß, nachts schweinekalt.

Ein Marktplatz, Hotel mit Tanzsaal sowie verschiedene Sportplätze waren ebenfalls Teil des einst trubeligen Zentrums der Stadt. Wenn man jetzt durch die verlassenen, staubigen Straßen schlendert, vorbei an rostigen Toren und eingeschlagenen Scheiben, muss man schon ein wenig seine Fantasie spielen lassen, um sich das Leben dort vorzustellen.