El judo es familia
… und das nicht nur, weil ich normalerweise immer zusammen mit Schwesterchen Maria auf der Matte stehe. Nein! Ich durfte für einen Monat im Club Shinzo Murayama Arequipa mittrainieren und bin dort so herzlich aufgenommen worden, dass ich alle Judoka dort ab jetzt zu meiner ganz persönlichen Judofamilie zähle.
Training für Fortgeschrittene
Nach der ersten Trainingseinheit vor knapp einem Monat war ich vollkommen am Ende. So viel vorweg. Arequipa liegt auf 2300m (ungefähr). Das ist eine Höhe, die man eigentlich nicht wirklich merkt. Außer, man strengt sich an. Ich habe das erst überhaupt nicht wahrgenommen. Aber da ich wohl mehr als der Durchschnitts-Judoka am Schnaufen war, hat mich jeder gefragt, ob ich mich schon an die Höhe gewöhnt hätte. Aha. Scheinbar nicht. Tatsächlich ist das aber nach einer Woche viel besser geworden.
Trotzdem bin ich nach jeder Einheit völlig erschöpft zuhause in mein Bettchen gefallen. Denn die Arequipeños sind fit und vor allem an einem interessiert: Wettkampftraining mit jeder Menge Randori. Und jeder, wirklich jeder, wollte mal mit mir kämpfen. Das ist zwar einerseits total cool, hat meine Kondition aber – gerade in den ersten Einheiten – bei weitem überschritten. Kleine blitzschnelle 44kg und 48kg-Kämpferinnen haben mich mit Seoi-Nage so überraschend in die Matte gezimmert, dass ich erst geschnallt habe, dass ich gerade geflogen bin, als ich schon unten lag. (Nach ein paar Einheiten konnte ich das übrigens weitestgehend verhindern. Meine gute Fallschule durfte (bzw. musste) ich aber trotzdem noch häufig unter Beweis stellen 🙂 )
Respekt wird großgeschrieben
Absolut großartig fand ich, wie alle „Shinzos“ miteinander umgegangen sind. Jeder Sensei (dazu zählte ich als Danträger automatisch mit) wurde von jedem Schüler mit Verbeugung und dem üblich südamerikanischen Kuss auf die Wange begrüßt – vor dem Training. Die Kids hatten neben der Begrüßung einen einstudierten Handschlag mit mehreren Abfolgen, den ich direkt lernen durfte (musste 😉 ). Außerdem wurde Felix – der eigentliche Leiter unseres Trainings – von allen liebevoll mit „Profe“ angesprochen. Nach jeder Trainingseinheit haben sich nach dem normalen Abgrüßen, zusätzlich noch einmal alle individuell per Verbeugung und Kuss / Handschlag verabschiedet. Wahnsinn.
Das Training im Club Shinzo Murayama findet JEDEN Abend von Montag bis Freitag statt. Felix ist immer da. Zwei der Judokids wohnen sogar bei ihm, da ihre Eltern weit weg arbeiten und die beiden in Arequipa zur Schule gehen. Das ist nur ein son‘ Beispiel, weshalb sich Shinzo Murayama nach mehr als „bloß“ Judo angefühlt hat. So herzlich wie ich aufgenommen wurde, so herzlich sind sie auch generell untereinander.

Ein ganz normales Training
Aber warum sind die Arequipeños nun so fit? Das kann ich nur mutmaßen, aber das tue ich gern: Felix ist 53, Träger des 3. Dans und hat in seiner Wohnung eine beachtliche Sammlung an Pokalen und Medaillen. Sprich: er ist selbst Wettkämpfer von ganzem Herzen (und hat sogar 2017 noch auf nationaler Ebene bei den Veteranen – den Alten wie er selbst lachend sagt – mitgekämpft. Und gewonnen.)
Seinen Trainingsstil würde ich als „alte Schule“ bezeichnen und meine das absolut positiv: Aufwärmen, Turnen, Tandoku Renshu in Bahnen, Uchi-Komi, Abwurftraining, Randori, Abkühlung mit Dehnen. So sah eine normale Trainingseinheit aus. Die Neuen haben während der verschiedenen Übungen viel von den Erfahrenen gelernt. Die Paare wurden ständig durchgewechselt. Pausen gab es nicht viele und wenn dann nur, weil die Matte zu klein für alle kämpfenden Paare gleichzeitig war. Jeder hat immer Vollgas gegeben – egal ob jung oder alt, neu oder schon lange dabei. Wer hier hin kommt, der will. Und da die Matte eigentlich immer voll war, würde ich mal sagen: Das Konzept geht auf. Mir selbst hat das Training auch unglaublich viel Spaß gemacht. Die Tatsache, dass ich dem Mix aus spanisch-japanischen Anweisungen nicht immer ganz folgen konnte, hat der Sache keinen Abbruch getan. Irgendwer hat mir immer nochmal erklärt, was ich tun soll und im Zweifel hab ich einfach geguckt, was der Rest so macht.

Ein Foto mit Jedem
Vor und nach jeder Trainingseinheit hat Felix sich jedes Mal dafür bedankt, dass ich mittrainiert habe. Beim allerersten Mal sollte ich mich allerdings selbst vorstellen. Das war witzig. Denn in Woche 3 in Peru bestand mein Spanisch im leicht nervösen Zustand lediglich aus „Hola. Buenas Dias. Me llamo Kim.“ Das hat sich zwar mittlerweile – theoretisch – stark verbessert, wenn ich aber vor einer Gruppe reden soll, ist mein Wortschatz ungefähr gleichbleibend klein. Das ist besonders deutlich geworden, als ich ihnen gestern zum Abschied einen bunt zusammengestellten Erste-Hilfe-Kasten überreichen wollte. Von meinem mühsam vorher eingeübten Text ist am Ende nur ein etwas langgezogenes „Muchas Gracias“ übrig geblieben. Nun gut. Der Wille war da und meine Intention ist trotzdem klar geworden.
Als Abschied von mir hat Felix uns übrigens alle kurzerhand zum Pizzaessen zu sich nach Hause eingeladen. Zu meiner völligen Überraschung hatte irgendwie jeder Zeit, sodass auch alle mitgekommen sind. Wenngleich ich bei der späteren Diskussion (natürlich auf spanisch) über den Grand-Slam in Paris & den besten Techniken beim letzten Turnier in Lima nicht wirklich gut folgen konnte, habe ich mich in der Runde einfach wohl gefühlt. Und nebenbei habe ich auch noch eine völlig neue Art des Biertrinkens kennengelernt. Aber dazu wann anders mehr.
Ich freue mich darauf, nächste Woche weiter zu reisen, finde es aber wirklich schade, dass ich mich jetzt von dieser tollen Truppe verabschieden musste. Ich hoffe sehr, dass ich den einen oder anderen auf irgendeiner Tatami der Welt nochmal wieder treffe. Ich hab sie übrigens alle nach Verl eingeladen 😉
Ach ja, und weil ich als Europäer automatisch eine kleine Sensation war, gibt es jetzt bestimmt 100 Fotos mit mir. Denn nicht nur alle Judoka, selbst einige Eltern der Kids, wollten ein Foto mit mir machen. Herrlich.

Posen für die Kamera 
Sie hat mich per Seoi-Nage in die Matte gezimmert – und letzte Woche gold bei den peruanischen Meisterschaften gewonnen. 
Bruno leitet das Training zusammen mit Felix 
Felix und ein paar seiner Pokale… da brauchte ich einfach ein Foto 
Ein paar Jungs und ich